Yoga und der Bauch

Anbei ein paar Gedanken die mir im Lauf des Semesters zu diesem Schwerpunktthema meines Open-Level-Kurses gekommen sind.

Mir erscheint das Paradoxon zwischen Bauchkraft und Lockerheit im Bauch ein sehr spannendes Thema für die innere Mitte zu sein. Während es in der Fitness-Szene beliebt ist, sich insbesondere für die Badesaison seine Six-packs zu trainieren, betont man in der asiatischen Kampfkunst das Ruhen in der Mitte, verbunden mit einer Lockerheit im Bauch, aus der man in die Aktion geht. Das dortige Schönheitsideal ist dem hiesigen dementsprechend ziemlich entgegengesetzt.

Für das Yoga ist beides relevant: Das Ankommen in einem gelösten Atem, das man vor allem tief im Unterbauch findet, aber auch den Aufbau von Kraft in der eigenen Mitte, und zwar nicht nur im Bauch, sondern gleichmäßig auf der Vorder- und Rückseite des Körpers, um Ungleichgewichte zu vermeiden. In der Nabelgegend ist das dritte Chakra beheimatet, das für innere Kraft und Stärke steht. Aus dem bisher gesagten sollte bereits deutlich geworden sein, dass es nicht nur um körperliche Kraft geht, sondern eher um das Ruhen in der eigenen Mitte. Aus der inneren Mitte heraus entsteht eine innere Kraft des Erkennen des eigenen Selbst und in weiterer Folge die Kraft der Intuition.

Der Bauch ist die Mitte des Körpers, wenn man den stehenden Körper ansieht. Gleichsetzungen von Nabel und Mittelpunkt auch in der westlichen Alltagssprache machen diese Beziehung deutlich, um nicht zu sagen, zu einer Binsenweisheit. Dazu passt auch, dass der Bauch das Zentrum der Verdauung ist und hier die Basis für unsere Gesundheit liegt.

Im allgemeinen Bewusstsein vielleicht weniger verankert, ist, dass der Bauch ein parasympathisch innerviertes Organ, sprich: der Bauch verrichtet seine Aufgaben besser, wenn sein Besitzer entspannt ist und leidet ganz besonders unter chronischen Stressbelastungen. Anthony William, der von mir hochverehrte medial begabte Autor von „Mediale Medizin“ schreibt in seinem Buch, dass Essen bei Stress eine der Hauptursachen von Diabetes ist. Eine ganze Menge von Zivilisationskrankheiten wären vermutlich vermeidbar, wenn wir uns um eine entspannte Atmosphäre bei der Nahrungsaufnahme bemühen würden.

Natürlich kann das Yoga, vor allem über die Atem-Achtsamkeit und über einfache Atem-Bewegungsübungen, hier einen großartigen Beitrag leisten, um Anspannungen im Bauch zu reduzieren. Aber auch Übungen wie das kräftigende Boot (Navasana) oder die Rückbeuge in der Bauchlage (Shalabhasana) haben hier ihren Platz, obwohl es auf den ersten Blick nicht danach aussieht. Während des Übens wird hier der Bauch angespannt bzw. zusammengedrückt, aber anschließend die Durchblutung erhöht und der Parasympathikus angeregt. Somit löst sich das Paradoxon zwischen Yin (Entspannung) und Yang (Anspannung) in der Yoga-Praxis auf, sofern man genügend Zeit zum Nachspüren und Entspannen danach gibt.